Sinn oder Unsinn des Ausbaus
Muss die Bahn ihre Kapazitäten ausbauen? Ist es der Schienenlärm vor dem wir geschützt werden müssen? Wie sieht so ein Lärmschutz aus und was macht er aus einem ehemals wertvollen Wohngebiet? Fakten und Meinungen von Jürgen Hanelt:
"Die Bahnstrecke Bamberg-Forchheim ist seit ca. 1965 eine sogenannte "Schnellfahr-Versuchsstrecke" der damaligen Deutschen Bundesbahn. Das bedeutet, dass auf dieser Strecke regelmässig Schnellfahrten mit 200 Km/h stattgefunden haben und stattfinden können.
Die Strecke ist jedenfalls für hohe Geschwindigkeiten ertüchtigt - auch ohne jeglichen Umbau. Die Notwendigkeit eines dritten Gleises ist bei heutiger Verkehrsdichte überhaupt nicht erkennbar (die Strecke ist bei Weitem nicht ausgelastet). Wie die Bahn mehr Verkehr auf die Schiene bekommen will, wenn sie ihr Gleisnetz in der Fläche reduziert (hier sägt sich sich seit 30 Jahren den Ast ab, auf dem sie sitzt), kann ich nicht verstehen.
Sogenannter "Lärmschutz": Ich war vor etwa 3 Wochen ausführlich im Bahnbereich Bamberg Süd unterwegs und kann mit Sicherheit sagen, dass die Lärmbelastung durch Autoverkehr um das mehrfache höher liegen dürfte als der Lärm durch den Schienenverkehr. Kein Mensch käme jemals auf die Idee, die Nürnberger Straße einzuhausen.
Ich kann mir vorstellen, eine entsprechende Messung z.B. im Bereich Nürnberger Strasse (etwa in Höhe Ulanenkasernen/Schauer) zu machen. In diesem Bereich haben wir in kurzem Abstand Schiene und Strasse und können so repräsentative Belastungsszenarien erstellen. Kurz: Das Problem ist eigentlich ein anderes...
Zu den Lärmschutz-"Lösungen" aus Erfurt gebe ich Beispiele."
Die Bahn durchschneidet hier mit den Wänden ein ehemalig wertvolles Wohngebiet. Blickkontakt "über die Bahn" nicht mehr möglich. Die Anlieger berichten mir gegenüber von Wertverlusten der Immobilien (30-50%). Ohne Lärmschutzwände hat es hier nie Probleme gegeben.
Wie ich in Gesprächen mit Anwohnern erfahren habe, hat auch hier die Bahn diese Maßnahmen mit "mehr Verkehr" begründet. Ein Mehrverkehr ist aber lt. Anliegern seit Baubeginn nicht vorhanden. Die Anzahl der Züge ist etwa gleich geblieben und noch weit hinter den Zahlen zurück, als die Bahn "richtig" gefahren ist (bis Ende der 70er Jahre)."
Jürgen Hanelt ist Tonmeister und Bahnliebhaber. Den Bahnausbau betrachtet er aus verschiedensten Blickwinkeln: Ausbau und Ausdünnung des Streckennetzes, Innovationen im Lärmschutz und Lärmschutz Bausünden
Kommentar zu „Was bringt der Ausbau?“
von Tonmeister und Bahnliebhaber Jürgen Hanelt:
Auch die Gegner von Lärmschutzwänden sind für den gesellschaftlichen Fortschritt. Dieser sollte nur vernünftig sein und das erscheint in diesem Falle als sehr fraglich.
Reisezeitverkürzungen sind gut, sind sie es aber auch um jeden Preis?
Seit etwa 25 Jahren weiden sich eisenbahnfremde Manager an der Eisenbahn aus, mit katastrophalen Folgen für den gesamten Betrieb. Stichworte: Personalabbau von 800.000 auf 110.000 Eisenbahner, Abbau von 50 % aller Weichen im Schienennetz (was das bedeutet, wäre ein separater Aufsatz!), Streckennetzabbau um 7.000 Km in den letzten 15 Jahren (ja wirklich: Das ist 7 mal durch ganz Deutschland und im gleichen Zeitraum ist wohl kein einziger Kilometer Strasse abgebaut worden).
Die Folgen sind katastrophal: Kein Personal mehr vor Ort, der Bahnhof (vormals mit beheiztem Warteraum, Fahrkartenschalter und Blumen am Bahnsteig) geschlossen, verkauft oder abgerissen. Dafür ein Buswartehäuschen auf einer Betonpiste – ein Witz. Vielerorts vergammeln für den Eisenbahnbetrieb wertvolle Gebäude, weil Niemand mehr da ist. Totale Ausdünnung im Betriebspersonal (wenn ein Lokführer einen Schnupfen kriegt, wird’s schon eng), eine eingefrohrene Weiche legt stundenlang den Betrieb in 200 Km Umkreis lahm, früher ging ein Mensch (Weichenschmierer) einfach hin und hat sie gängig gemacht – doch der Mensch wurde abgeschafft. Da es viele Schienentransportprodukte nicht mehr gibt, wachsen auf den Rangierbahnhöfen die Birken, während die Autobahnen vom LKW-Verkehr total verstopfen und immer öfter repariert werden müssen (auf Kosten der Steuerzahler).
Was hat das alles mit dem ICE-Ausbau zu tun?
Ganz einfach: Es müsste an den gesamten Organismus “Bahn” gedacht werden und nicht nur an die “Leuchtturmprojekte”.
Und zur Reisezeitverkürzung noch ein letztes Wort: Wenn die DBAG es erst seit wenigen Jahren schafft, die Reisezeiten (z.B. zwischen Hamburg und Berlin oder zwischen Berlin und Dresden) von 1935 zu unterbieten, muß man sich doch die Frage stellen, ob das nicht auch ohne Betonwahnsinn sondern einfach nur mit “Eisenbahn, aber gut gemacht” geht.
Jürgen Hanelt